Positionspapier – Thüringer Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache
Aus unserer Sicht ist die Errichtung einer Thüringer Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache aus verschiedenen Gründen erforderlich. Die Gründe, Aufgaben und Arbeitsweise dieser von uns geforderten Landesfachstelle werden in diesem Positionspapier dargelegt.
Es ist Aufgabe der Thüringer Landesregierung und der Thüringer Kommunen, Landkreise und kreisfreien Städte, die in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie im Thüringer Inklusionsgesetz (ThürGIG) formulierten Rechte so umzusetzen, dass sie auch tatsächlich im Alltag Anwendung finden und Menschen, die bereits Deutsche Gebärdensprache (DGS) beherrschen oder die diese Sprache erwerben möchten, sich erfolgreich darauf berufen können.
Die DGS ist eine visuell wahrnehmbare und natürliche Sprache, welche mit § 12 ThürGIG als rechtlich eigenständige Sprache anerkannt wurde. Am 19.03.2021 wurde die DGS in das bundesweite Verzeichnis des Nationalen Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Am 08.10.2021 verabschiedete die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Empfehlungen zu curricularen Vorgaben eines kompetenzorientierten Wahlpflicht- oder Wahlfaches „Deutsche Gebärdensprache (DGS)“ für die Sekundarstufe I.
Laut der Ergebnisse der Sachstandsabfrage 2021 des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF) bei den jeweils fachlich zuständigen Ressorts der Landesregierung zur Umsetzung der Maßnahmen des Thüringer Maßnahmenplans zur Umsetzung der UN-BRK (Version 2.0) wurden fast alle Maßnahmen, die direkt oder indirekt mit der DGS zu tun haben, nicht umgesetzt bzw. außer Acht gelassen. Dies liegt unserer Auffassung nach insbesondere:
- am fehlenden Instrumentarium (Ressourcen und Kompetenzen),
- am unzureichenden Expertenwissen (Information),
- am ständigen Personalwechsel im Kreis der öffentlichen Tätigkeit des Landes bzw. Trägers öffentlicher Gewalt sowie
- an der unkoordinierten Netzwerkarbeit (Vernetzung sozialer Dienste und Selbsthilfe-unterstützung, institutionelles Setting und netzwerkorientierte Gemeinwesenarbeit)
Um diesen Missständen und rückläufigen Entwicklungen entgegenwirken zu können, ist es notwendig, eine Thüringer Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache zu errichten, die mit ihren sachverständigen gebärdensprach-kompetenten Expert*innen in erster Linie öffentliche Stellen in Thüringen berät und auch aktiv an Ausarbeitungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozessen über politische Konzepte, Pläne, Programme und Maßnahmen mitwirkt – insbesondere wenn diese das Anliegen der Gebärdensprachnutzer*innen unmittelbar betreffen oder diese die sprachliche und kulturelle Vielfalt (Schutz, Pflege und Förderung) in Thüringen anbelangen. Dadurch wird die Gebärdensprach-thematik zu einem festen Bestandteil der einschlägigen Strategien der nachhaltigen Entwicklung und Aufklärung. Ebenfalls soll die Landesfachstelle die Rolle einer Überwachungs- bzw. der Ombudsstelle einnehmen.
Die Landesfachstelle soll kostenfrei beraten und bei Umsetzungsprozessen der DGS in allen öffentlichen, politischen, schulischen, kulturellen und sozialen Lebensbereichen begleitend tätig sein. Neben den öffentlichen Stellen bzw. Verwaltung soll die Landesfachstelle auch Ansprechpartner für Wirtschaft, Verbände, Institutionen und Multiplikatoren aus Thüringen sein. Wichtig ist, dass eine frühzeitige und barrierefreie Kontaktaufnahme zur Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache erfolgen kann. Die Landesfachstelle soll sich außerdem damit auseinandersetzen, die Digitalisierung in DGS als Chance auch für Menschen mit oder ohne Gebärdensprachkompetenz zu begreifen und aktiv zu gestalten.
Als weitere Angebote der Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache sehen wir:
- Beratung und Zusammenarbeit zum Beispiel mit der Thüringer Landesmedienanstalt, dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, der Thüringer Landesfachstelle für Barrierefreiheit, der Landesantidiskriminierungsstelle, der Landeszentrale für politische Bildung etc.
- Beratung zu Möglichkeiten der finanziellen Förderung
- Beratung zu Fragen von sozialen bzw. kulturellen Einrichtungen und Bildungs-einrichtungen (wie Schulen)
- Fachvorträge, Schulungen
- Kooperation mit weiteren (nicht kommerziellen) Beratungsanbietern (z.B. kommunale Behindertenbeauftragte und Sozialberatungsstellen)
- Mitwirkung bei der Erstellung von DIN-Normen, Lehrplänen, Informationsmaterialien sowie bei der Herausgabe von Planungshilfen und Empfehlungen.
Die Landesfachstelle soll arbeiten auf der Grundlage:
- gesetzlicher Anforderungen,
- des Stands der Technik und Medien,
- wissenschaftlicher Erkenntnisse und
- aktueller Empfehlungen von Verbänden von Menschen mit Gebärdensprachkompetenz.
Durch die schrittweise Umsetzung der Arbeit der Thüringer Landesfachstelle für DGS werden die Bedingungen für Menschen die in Gebärdensprache kommunizieren verbessert sodass die Zugangsbarrieren zur physischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwelt, zu Gesundheit und Bildung sowie zu Information und Kommunikation abgebaut werden und sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten der Verfassung des Freistaats Thüringen (ThürVerf) voll genießen können.
Deshalb fordern wir, der Verein für bilinguale Bildung in Deutscher Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache e.V., der Landesverband der Gehörlosen Thüringen e.V. und der Gehörlosen-Sportverband Thüringen e.V. die Thüringer Landesregierung dazu auf, sich für die Errichtung einer Thüringer Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache einzusetzen und diese zu verwirklichen. Inklusion ist nicht nur eine Angelegenheit der Gesellschaft und Betroffenen selbst. Sie ist zuallererst eine Haltungsfrage – Sie braucht Befürworter und Mitstreiter in der Politik, und zwar in der Thüringer Landesregierung. Deshalb setzen Sie sich mit uns gemeinsam für die Errichtung einer solchen Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache ein.
Positionspapier Thüringer Landesfachstelle für Deutsche Gebärdensprache (PDF)