Rechtsstreit mit Jugendamt bahnt sich an, weil es keine Gebärdensprachkurse für die Eltern eines gehörlosen Kindes genehmigt
Es gibt ganz spezielle Fälle, in denen Ämter versuchen, sich vor zusätzlichen Kosten zu drücken, indem sie die Zuständigkeit von sich weisen oder vorschnell Anträge ablehnen.
Eine Familie aus einem Thüringer Landkreis, mit einem vierjährigen gehörlosen Jungen, stellte auf Anraten des Bundeselternverbands gehörloser Kinder einen Antrag auf einen Hausgebärdensprachkurs als Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII beim zuständigen Jugendamt. Die Eltern wurden daraufhin zum Gespräch in das Jugendamt einbestellt. Sie erläuterten den Sachverhalt und legten dar, dass sie durch die nicht vorhandene Sprache, nicht in der Lage sind, das Kind zu erziehen. Bei dem Anhörungstermin beim Jugendamt kam heraus, dass sich das Jugendamt nicht dafür zuständig sieht. Den Eltern wurde nahegelegt den Antrag zurück zu ziehen, dann könne man ihnen auch bei der Beantragung der Gebärdensprachkurse bei der Krankenkasse helfen. Doch von anderen Eltern und auch vom Jugendamt selbst wussten die Eltern, dass auch die Krankenkassen die Finanzierung der Gebärdensprachkurse für die hörenden Eltern ablehnen. Mit der Begründung, sie seien nur für das Kind und nicht für die Eltern zuständig. Angeblich gäbe es ein von der Rechtsabteilung des Jugendamtes angefertigtes Gutachten, welches die Zuständigkeit des Jugendamtes verneint. Dieses Gutachten könne aber den Eltern nicht ausgehändigt werden.
Der Antrag auf Hausgebärdensprachkurs der Eltern wurde vom Jugendamt abgelehnt mit der Begründung, dass das Jugendamt hier nicht zuständig sei. „Da ein Kurs … der Zuständigkeit der Krankenkassen als Heilmittel unterfallen dürfte, unterliegt die Kostenträgerschaft für hörende Eltern ebenfalls der Zuständigkeit der Krankenkassen… Ein Anspruch auf Jugendhilfe, hier Hilfe zur Erziehung, scheidet aus, weil noch keine maßgebliche Fehlentwicklung oder Vernachlässigung des Kindes eingetreten ist… Für die Gewährung von Hilfe… muss es sich um eine Defizitsituation handeln, bei der… ein Rückstand oder Stillstand in der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes droht. Das ist bei der fehlenden Kommunikation infolge der Behinderung des Kindes nicht der Fall.“ So die Meinung des Jugendamtes. Hier provoziert das Jugendamt regelrecht die Gefährdung des Wohls des Kindes.
Die bisherige Versorgung mit Hörhilfen und Hörprothese (Cochlea Implantat) brachte bei dem Vierjährigen keine Erfolge, sodass die Familie nun ganz dringend Gebärdensprache erlernen muss, um dem Jungen eine Muttersprache geben und mit ihm kommunizieren zu können. Ihr 4 Jähriger Sohn bekommt im Kindergarten gebärdensprachliche Frühförderung und hat eine gebärdensprachliche Kommunikationsassistenz, die durch das Sozialamt finanziert wird. Doch wer trägt nun die Kosten für die Gebärdensprachkurse der Eltern? Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat 2013 entschieden, dass die Sozialämter im Sinne der Eingliederungshilfe nicht für die Sprachkurse der Eltern zuständig sind.
Eltern brauchen aber diese Kurse, um ihre gehörlosen Kinder erziehen und bilden zu können. Es reicht nicht, wenn die Kinder Gebärdensprache können, aber die Eltern nicht und so die Familien nicht zuhause miteinander kommunizieren können. Selbst finanzieren können die Eltern die Kurse, die pro Stunde 75 Euro kosten, aber meist nicht.
Viele Eltern von gehörlosen Kindern beantragten nach 2013 die Kurse beim Jugendamt. Einige Jugendämter verstanden die Not und finanzierten die Kurse. Aber manche Jugendämter wollten nicht zahlen und fragten das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF) an, ob sie dazu verpflichtet seien.
Das Institut hat bereits 2015 ein Rechtsgutachten veröffentlicht, in dem der Anspruch der Eltern bejaht wird. Unter anderem wird geschrieben:
Anspruch als (flexible) Hilfe zur Erziehung an § 27 SGB VIII
Die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Eltern und die damit notwendigerweise einhergehenden Beeinträchtigungen ihrer erzieherischen Möglichkeiten bedingen zwangsläufig die Annahme einer erzieherischen Bedarfssituation des Kindes.
Dieser kann durch die Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachkurs abgeholfen werden, sodass es sich auch um die geeignete und notwendige Hilfe handelt.
Im Fazit wird geschrieben:
Nach Einschätzung des Instituts besteht ein Anspruch gegenüber dem Jugendamt auf Übernahme der Kosten für den Gebärdensprachkurs der Eltern als Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 2 SGB VIII
Zurück zu unserem Fall. Die ganze Antragslitanei zieht sich wie ein zähes Kaugummi durch das Leben der Familie. Schon kurz nach der Geburt wurde festgestellt, dass der kleine Junge nichts hört. Er wurde dann mit 3 Monaten mit Hörgeräten versorgt, dann mit einem halben Jahr kam die Frage auf, soll ihr Kind hören oder wollen sie es mit Gebärdensprache aufziehen. Für die hörenden Eltern, die damals noch keine Berührungspunkte mit Gebärdensprache hatten, war das keine Frage. Natürlich sollte ihr Kind hören können, wenn dies möglich ist. Die Eltern entschieden sich für eine Implantation eines Cochlea Implantates (kurz: CI), wodurch nach Meinung der Ärzte zu 80% ein Hören ermöglicht wird. Doch so kam es nicht. Ihr Kind wurde mit einem Jahr operiert, durch einen OP Schaden entstand am Kopf des Kindes eine weitere kindshandgroße Wunde auf der gegenüberliegenden Seite des Implantats, die die Familie über ein Jahr hinweg von Arzt zu Arzt laufen ließ. Welche Schmerzen der kleine Junge haben musste, konnte er natürlich nur mit Tränen ausdrücken. Nach 2-jähriger Reha und 3 Jahre nach der Operation kann man nun sagen, dass diese Implantation nicht erfolgreich war. Alle Hoffnungen der Eltern in die Arbeit der Ärzte wurden leider enttäuscht. Der kleine Junge kann keine Sprache hören und dadurch auch nicht die Deutsche Lautsprache erlernen. Woran es liegt, dass das Implantat nicht so arbeitet, wie gewünscht, kann Keiner sagen. Die Eltern stehen also nicht mehr vor der Entscheidung Lautsprache oder Gebärdensprache, nein sie müssen die Gebärdensprache lernen. Eine neue Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, aber die einzige Möglichkeit darstellt, mit Ihrem Kind in Kommunikation zu treten. „Mit dem Ende des 5. Lebensjahres ist ein gewisser Abschluss der Sprachentwicklung erreicht“, schreibt Richard Michaelis in seinem Buch „ Entwicklungsneurologie und Neuropädiatrie: Grundlagen und diagnostische Strategien.“ D.h. die Eltern stehen auch unter einem gewissen Zeitdruck. Wenn ihr Kind innerhalb der nächsten 1-2 Jahre nicht die Gebärdensprache als Erstsprache erwirbt, wird es sehr schwer sein, später die Deutsche Schriftsprache zu erlernen (vgl. Barbara Hänel-Faulhaber). Für unsere Gesellschaft bedeutet das, dass solche Kinder keine Zukunft haben. Ohne Wünsche äußern zu können, ohne verstanden zu werden, ja ohne ein Kommunikationssystem geht ein Mensch zu Grunde. Und wenn die Konflikte zwischen Eltern und Kindern immer größer werden, gehen ganze Familien in die Brüche. Welche Laufbahn steht dem kleinen Jungen bevor ohne Lesen und Schreiben zu können? Kann er sich zu einer „Fachkraft“, die Deutschland so dringend braucht entwickeln? Oder wird er ständig auf eine Begleitperson angewiesen sein, die ihn bei Arztbesuchen, Behördengängen und in Werkstätten auf Kosten des Staates zur Verfügung gestellt wird?
Völlig unverständlich ist die Reaktion des Jugendamtes in diesem Fall. Es geht um das „Wohl des Kindes“, was laut Familienrecht an 1. Stelle steht. Welche Rechnung macht sich das Jugendamt da auf? Kinder haben das Recht auf Erziehung, Kinder haben das Recht laut Gesetz so viel zu lernen wie sie können. Doch leider wird dem kleinen Jungen dieses Recht verwehrt, da das Jugendamt sich hierfür nicht zuständig fühlt. Die Eltern wollen diese Ablehnung des Jugendamtes nicht akzeptieren und gehen in Widerspruch. „Wir wollen, dass es Eltern zukünftig besser haben.“, so die Eltern. Nur ist das ein langer Weg… „Vor Gericht zu gehen bedeutet, dass uns 2 Jahre verloren gehen, 2 Jahre in denen wir gerade jetzt intensiv Gebärdensprache lernen müssten.“ Sie hoffen, dass der Widerspruch erhört wird und das Jugendamt sich schnell überzeugen lässt.
Hallo,
unsere behinderte Tochter hat 2013 im Alter von 21 Jahren erst einen mobilen Talker als verbesserten Sprachassistenten erhalten.
Die Betreuungsassistenz der Mutter ist nicht erwünscht, weil eine BerufsBetreuerin bestellt ist. Der mobile Talker ist von uns über die Betreuerin im März 2019 beantragt worden, weil er defekt war. Die Betreuerin kümmerte sich nicht darum, auch nicht, als die Hilfsmittelabteilung des Bundesträgers der Allgemeinen Ortskrankenkasse Reinland/Hamburg am 16. Dezember 2019 unseren Antrag auf ein Hilfmittel abwies. Die Betreuerin hielt die WiderspruchsFrist von einem Monat nicht ein und so verzögerte sich unser Antrag auf einen mobilen Talker als Hilfmittel immer mehr. Durch unsere Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse fiel denen dann auf, dass der vorhandene mobile Talker nicht mehr reparabel ist, sodass unserer behinderten Tochter irgendwann im Sommer 2020 ein neues Gerät von der Krankenkasse bewilligt wurde. Das Schreiben liegt uns nicht vor.
Die Betreuerin beschuldigte unsere behinderte Tochter, den mobilen Talker beschädigt zu haben. Weiter behauptet sie
der mobile Talker gehöre nicht unserer Tochter, er sei eine Leihgabe der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland/Hamburg.
In der Zeit haben wir beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Unsere Klage wurde angenommen, die Zuständigkeit hat aber das Sozialgericht in Düsseldorf.