Gehörlose Eltern werden durch Formfehler im ThürGIG diskriminiert

Das Thüringer Gesetz zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (ThürGIG) verweist im § 12 auf das Recht auf die Verwendung von Gebärdensprache, schließt aber hörbehinderte Eltern mit hörenden Kindergartenkindern aus.

Im § 12 Absatz 5 wird geregelt, dass hörbehinderte Eltern die Kosten für die Kommunikation mit Kita oder Schule mittels GebärdensprachdolmetscherIn erstattet bekommen. Der Anspruch besteht entweder gegenüber dem Schulamt oder dem Landkreis bzw. der kreisfreien Stadt, als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe.
Durch die Begrenzung auf „hör- oder sprachbehinderte Kinder“ im letzten Satz des Absatzes 5 werden allerdings hörbehinderte Eltern mit hörenden Kindern kategorisch von diesem Anspruch ausgeschlossen:
„… Der Anspruch für die Erstattung der notwendigen Aufwendungen für die Kommunikation mit einer Kindertageseinrichtung richtet sich gegen den Landkreis oder die kreisfreie Stadt, als örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in deren Zuständigkeitsbereich das hör- oder sprachbehinderte Kind die Kindertageseinrichtung besucht.“

Auf diesen „Formfehler“ im Gesetz berief sich die Stadt Suhl und lehnte einen Antrag von hörbehinderten Eltern auf die Kostenübernahme für eine Dolmetscherin im Kindergarten ab.
Der Kindergarten „Arche Noah“ in Suhl hatte die Eltern der Vorschulkinder zum Elternabend eingeladen. Ein hörbehindertes Ehepaar, dessen hörender Sohn auch zur Vorschulgruppe gehört, stellte einen Antrag auf Kostenübernahme der Gebärdensprachdolmetscherin beim Jugendamt der Stadt Suhl, um auch an dem Elternabend teilnehmen zu können. Zwei Tage vor dem Elternabend erhielten die Eltern einen ablehnenden Bescheid, mit der Begründung, da ihr Sohn nicht hör- oder sprachbehindert sei, wäre das Jugendamt nicht zuständig.

„Es ist traurig, dass das Jugendamt Suhl hier einen offensichtlichen Formfehler im Gesetzestext nicht im Sinne des Gesetzes und damit zugunsten der hörbehinderten Eltern auslegt, sondern es nach dem Wortlaut interpretiert, was zu einer Ungleichbehandlung und Diskriminierung führt, die gerade durch dieses Gesetz verhindert werden soll. Es ist höchste Zeit, den Fehler zu beheben! Und bis dahin sollten den betroffenen Familien im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kosten erstattet werden.”, äußert sich Manuel Löffelholz vom Verein für Bilinguale Bildung in Gebärdensprache und Lautsprache (BILING), der sich mit vielen bilingualen Familien gemeinsam für die Rechte hör- und sprachbehinderter Menschen einsetzt.

Einen ähnlichen Fall gibt es aktuell auch in Meiningen. Dort verweist das Jugendamt auf die noch fehlende Rechtsverordnung nach §12 Absatz 6 ThürGIG und drängt die gehörlosen Eltern auf die Verwendung von Schriftsprache: „… Wir gehen davon aus, dass der Einsatz eines Gebärdensprachendolmetschers für ein Aufnahmegespräch in Kita nicht erforderlich ist, sondern dies über andere Kommunikationswege (z.B. schriftliche Verständigung mittels PC oder Laptop) gelöst werden kann.”, heißt es in dem Schreiben an die Eltern.

„Für mich ist dies ein klarer Fall von Diskriminierung…“, bewertet Manuel Löffelholz die Antwort der Behörde, „…denn es muss auf jeden Fall der Hörbehinderte, die Entscheidung treffen können, welche Kommunikationsmöglichkeit er nutzen möchte, so wie es auch die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht. Man muss sich auch bewusst machen, dass die Deutsche Laut- und Schriftsprache für viele Gebärdensprachler nicht ihre Erstsprache ist.“

Auch für Thomas Wartenberg von der Sozialberatungsstelle für Gehörlose des Landesverbandes der Gehörlosen Thüringen e.V. ist dieses behördliche Vorgehen „ein klarer Fall von Diskriminierung und es entspricht nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung und des Wahlrechts in Bezug auf die Bedürfnisse hörbehinderter Menschen, da üblicherweise die Nichtbehinderten „mündlich“ in Lautsprache kommunizieren dürfen und den Hörbehinderten die mündliche Form der Kommunikation, also in Gebärdensprache, allerdings verwehrt wird. Diese Vorenthaltung der mündlichen Kommunikation stellt eine Menschenrechtsverletzung dar.“

Caroline Keil, Vorsitzende vom Berufsverband der Dolmetscher*innen für Gebärdensprachen und Lautsprachen in Thüringen e.V., sieht ebenfalls Änderungsbedarf: „Wir begrüßen, dass mit der letzten Änderung des ThürGIG endlich auch hörbehinderte Eltern von Kindergartenkindern einen Rechtsanspruch auf die Übernahme der Dolmetscherkosten haben. Dieser Anspruch muss jedoch uneingeschränkt für hörgeschädigte Eltern von Kindergartenkindern bestehen, damit sie, unabhängig von der Hörfähigkeit ihrer Kinder, mit dem Personal des jeweiligen Kindergartens kommunizieren können.
Die Erfahrungen unserer Mitglieder bestätigen Erkenntnisse aus der Wissenschaft, dass hörbehinderte Eltern überwiegend hörende Kinder haben. Diese Eltern sind im Moment von einer barrierefreien Kommunikation ausgeschlossen.“

Es muss dringend eine Änderung des ThürGIG herbeigeführt werden und die veraltete Rechtsverordnung zur Ausführung des Gesetzes (ThürGIGAVO), die aktuell nicht im Einklang zum Justizvergütungs- und -Entschädigungsgesetz (JVEG) steht, muss gemeinsam mit Betroffenenverbänden sowie dem Thüringer Berufsverband der Dolmetscher*innen für Gebärdensprachen und Lautsprachen überarbeitet werden, um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen und für hörbehinderte Eltern Rechtssicherheit zu schaffen.

Um diese Änderungen herbeizuführen, haben der Thüringer Landesverband der Gehörlosen, der Thüringer Berufsverband der Dolmetscher*innen für Gebärdensprachen und Lautsprachen (BDGL) und der Verein für Bilinguale Bildung in Deutscher Gebärdensprache und Deutscher Lautsprache (BILING) eine Petition im Thüringer Landtag eingereicht.

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