Inklusive Bildung in Gebärdensprache und Lautsprache ist kein Privileg, sondern ein Menschenrecht!
Wie hörbehinderte Schüler in Thüringen diskriminiert und vom Unterricht ausgeschlossen werden
Hörbehinderte Schüler besuchen „Förderzentren“, in denen sie in Gebärdensprache unterrichtet werden und dem Inhalt des Unterrichts folgen können, so möchte man meinen. Leider ist dies in vielen Fördereinrichtungen nicht der Fall. Der Grund dafür liegt in den Fehlentwicklungen in der Hörgeschädigtenpädagogik seit den Festlegungen des Mailänder Kongresses 1880 begründet (Nachzulesen in der Geschichte der Gehörlosen nach 1880).
Aus diesem Grund müssen heute im Jahr 2019 deutschlandweit vielerorts Eltern um das selbstverständliche Recht ihrer Kinder auf den Zugang zu Bildung kämpfen wie beispielsweise in Dresden. Denn in den „sogenannten Förderzentren“ beherrschen aufgrund ihrer oralen Ausrichtung die wenigsten Pädagogen die Gebärdensprache auf angemessenem Niveau, um den Unterrichtsstoff vermitteln zu können. Über diesen traurigen Zustand berichtete das Campus Magazin im November.
In Erfurt lernen hörbehinderte und hörende Schüler gemeinsam im bilingualen Unterricht. Der inklusive bimodal-bilinguale Unterricht an der Erfurter Gemeinschaftsschule am Roten Berg findet durch ein Zwei-Pädagogen-Prinzip in Deutscher Gebärdensprache und Laut- bzw. Schriftsprache so einmalig in Deutschland statt. Die Schüler und Eltern der bilingualen Stammgruppen sind mit dem Unterrichtskonzept sehr zufrieden, denn die Schüler haben dadurch den vollen Zugang zum Unterrichtinhalt.
Durch den weiteren Zulauf von hörbehinderten Kindern in den Klassenstufen 1 und 2 fehlt der Schule allerdings seit Herbst 2019 Lehrpersonal mit Gebärdensprachkompetenz. Seither findet beispielsweise der Sportunterricht und die Angebote des Hortes weitestgehend nur in Lautsprache statt und hörende gebärdensprachkompetente Schüler dolmetschen für ihre tauben Klassenkameraden.
Um diesen unhaltbaren Zustand zu beenden, haben die Eltern bei ihren Sozialämtern in Erfurt, Weimar und Arnstadt Ende September Anträge auf Gebärdensprachdolmetscher gestellt. Bisher noch ohne Ergebnis. Ab Februar 2020 ist für die hörenden und hörbehinderten Kinder der Klassen 3 und 4 der Schwimmunterricht geplant, für den die Eltern ebenfalls die Dolmetscher einsetzen wollen.
„Mitte November bekamen wir von der Sonderpädagogin unserer Schüler die Information, dass es Problem bei dem geplanten Schwimmunterricht gebe.“, berichtet Manuel Löffelholz, Vater einer hörbehinderten Schülerin. „Die Sportkoordinatorin vom Schulamt Mittelthüringen, die für die Organisation des Schwimmunterrichts zuständig ist, verweigert unseren hörbehinderten Schülern die Teilnahme am inklusiven Unterricht. Statt der gemeinsamen Schwimmzeit am Vormittag, sollen unsere sechs hörbehinderten Kinder am Nachmittag separat unterrichtet werden. Dies ist eine Diskriminierung für unsere Kinder, die wir so nicht akzeptieren werden. Unsere Kinder haben laut Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf inklusiven Unterricht und dies fordern wir für sie ein.“ sind sich die Eltern der sechs Kinder einig. „Zudem lehnte die Sportkoordinatorin den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern im Schwimmunterricht ab und war uns gegenüber nicht zu einem Gespräch bereit“, berichtete Löffelholz weiter.
„Ein Sportlehrer ohne ausreichende Gebärdensprachkompetenz, bringt unseren Kindern leider nichts, da sie dadurch dem Unterrichtsinhalt nicht folgen und auch nicht mit dem Lehrer auf Augenhöhe kommunizieren können. Es müsste mindestens ein DGS Sprachniveau B2 vorliegen, damit eine angemessene Kommunikation funktionieren kann.“, erklärt Marcus Beyer, Vater eines hörbehinderten Schülers.
Auch Schulleiter Falko Stolp hat sich bereits an das Schulamt gewandt und um eine Klärung dieses Problems gebeten. „Es entspricht nicht unserem inklusiven Lernansatz, wenn die Klasse getrennt wird und die Kinder mit Beeinträchtigung benachteiligt werden.“, stellt Falko Stolp klar und steht damit hinter der Position der Eltern.
Aus organisatorischen Gründen ist ein späterer Schwimmunterricht nicht praktikabel, berichtet Schulleiter Stolp weiter, denn die Kinder müssten zunächst aufgeteilt und in der Schule betreut werden, während ihre Klassenkameraden Schwimmunterricht haben. Ohne Mittagspause würden die sechs hörbehinderten Schüler dann von 12.50 bis 14.35 Uhr (zuzüglich Wegezeit) in der Schwimmhalle Unterricht haben und dann möglicherweise ihren Fahrdienst nach Weimar und Arnstadt verpassen. An der Hausaufgabenzeit in der Schule könnten sie ebenfalls nicht teilnehmen und müssten diese am späten Nachmittag zu Hause erledigen.
Weihnachten steht vor der Tür und da darf man sich doch etwas wünschen… Wir wünschen uns zu Weihnachten einen Bewilligungsbescheid vom Sozialamt, damit unsere Kinder im Sportunterricht und bei den Hortangeboten teilhaben können und nicht weiter diskriminiert und ausgeschlossen werden.